Zusammenfassung und Ersteinschätzung zum Initiativantrag Änderung des Arbeitszeitgesetzes durch die GPA-djp

Die Bundesregierung hat am 14.6.2018 einen Initiativantrag zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und des Arbeitsruhegesetzes vorgelegt. Was darin als Arbeitszeitflexibilisierung bezeichnet wird, bedeutet in der betrieblichen Praxis nicht nur die Einführung des 12-Stunden-Tages, sondern bringt für ArbeitnehmerInnen eine Vielzahl von finanziellen und gesundheitsbezogenen Verschlechterungen. Die schon im Regierungsprogramm verankerte Wunschliste der Wirtschaft, wurde mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf sogar noch weiter erfüllt, als zu erwarten war.

Maßnahmen zum Ausgleich längerer Arbeitszeiten fehlen, Mitwirkungsrechte des Betriebsrates werden beseitigt, Überstundenzuschläge fallen weg. Zudem hält sich die Bundesregierung bei der Realisierung ihres Vorhabens nicht mit einem üblichen und ausführlichen Begutachtungsprozess unter breiter Beteiligung auf, sondern lässt den Gesetzesentwurf lediglich im Wirtschaftsausschuss des Parlaments behandeln. Bis zum 4. Juli 2018 sollen die Beratungen im Nationalrat abgeschlossen sein, mit 1.1.2019 sollen die geänderten arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen wirksam werden.

Mit den Änderungen will man die Arbeitszeit an „die modernen Lebensrealitäten anpassen und familienfreundlicher gestalten. Das Arbeitszeitvolumen soll an die Auftragslagen im Unternehmen angepasst werden“ so die zusammenfassende Erklärung von Kanzler und Vizekanzler. Vor allem die Vier-Tage-Woche wird dahingehend als großes Plus vermarktet, hinsichtlich Überstundenausweitung verweist man auf Freiwilligkeit. Nicht nur diese, auch alle weiteren Erklärungen und Beschwichtigungen, lassen sich leicht enttarnen. Die Fakten zu den verschiedenen Arbeitszeitmärchen der Bundesregierung sehen anders aus:

Märchen Nr. 1: Die Vier-Tage-Woche ist neu und ein großes Plus.

FAKT: Die 4-Tage-Woche gibt es längst. Sie ist in § 4 Abs 8 Arbeitszeitgesetz (AZG) verankert und durch Betriebsvereinbarung regelbar. An dieser Regelung wird auch nichts geändert. Im Gesetzesentwurf ist keinerlei Anspruch der ArbeitnehmerInnen auf eine Vier-Tage-Woche vorgesehen!

Märchen Nr. 2: Freiwilligkeit bei Überstunden

FAKT: Wie die Praxis zeigt, erfolgt Überstundenleistung nur sehr selten freiwillig. Der Druck des Arbeitgebers und die Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes spielen hier oftmals eine maßgebliche Rolle. Es ist also scheinheilig, von Freiwilligkeit zu sprechen. ArbeitnehmerInnen werden allein gelassen, dem Schutzzweck des Arbeitszeitgesetzes wird zuwidergehandelt.

Märchen Nr. 3: Überstunden können abgelehnt werden

FAKT: Die Möglichkeit der Ablehnung von Überstundenleistung gibt es bereits und zwar schon ab der 9.Stunde (!). Im Arbeitszeitgesetz (§ 6 Abs 2) ist klar geregelt, dass ArbeitnehmerInnen nur zur Überstundenleistung herangezogen werden können, wenn nicht berücksichtigungswürdige Interessen entgegenstehen. Diese Bestimmung bleibt dem Gesetzesentwurf nach auch erhalten. Schon bisher war Überstundenarbeit bis zu 12 Stunden unter bestimmten Voraussetzungen möglich und für diese Fälle existiert auch ein entsprechendes Benachteiligungsverbot. Das Ablehnungsrecht für die die 11. und 12. Stunde ist also keine völlig neue Errungenschaft.

Märchen Nr. 4: Im Durchschnitt wird niemand mehr als 48 Wochenstunden arbeiten

FAKT: Diese ist Absicherung ist kein Entgegenkommen der Regierung, sondern durch die Arbeitszeitrichtlinie der EU vorgegeben. § 9 Abs 4 AZG bleibt daher auch erhalten. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit darf innerhalb eines 17-wöchigen Zeitraumes 48 Stunden nicht überschreiten. Eine Verlängerung des Durchrechenzeitraumes ist nur durch Kollektivvertrag möglich.

Märchen Nr. 5: Überstunden werden natürlich wie bisher bezahlt

FAKT: Mit Kollektivvertrag wird Zeitguthaben bei diversen Arbeitszeitmodellen in Zukunft nicht nur in den nächsten Durchrechnungszeitraum, sondern in die nächsten Durchrechnungszeiträume übertragbar sein. Die Auszahlung von Mehrarbeit kann sich damit um Jahre verzögern bzw. das Zustandekommen von Überstunden wird dadurch vermieden.

FAKT: Bei Gleitzeit kann in Zukunft 5x pro Woche bis zu 12 Stunden gearbeitet werden. Im Gleitzeitkontext handelt es sich dabei im Regelfall um Normalarbeitszeit, auch was die 11. und 12. Stunde betrifft. Es gibt also bei Konsumation keine Zuschläge. Sehr lange Durchrechnungszeiträume können ArbeitnehmerInnen hier um viel Geld bringen. Eine 11. und 12. Stunde sind derzeit nur mit Zuschlag möglich, künftig gelten sie als Normalarbeitszeit.

Märchen Nr. 6: Die Gesundheit der Arbeitnehmer/innen ist wichtig

FAKT: Schon nach 8 Stunden sinkt die Leistungsfähigkeit; während die Konzentration sinkt, steigt die Unfallgefahr. UND: Zu langes Arbeiten macht krank. Die Kosten, die sich in der Folge auch für Betriebe ergeben, sind oftmals verdeckt. Sie werden freilich noch zunehmen, denn die Regierung steuert auch auf Einsparungen bei der Prävention von arbeitsbezogenen Gefahren und Erkrankungen zu.

Märchen Nr. 7: Die Regierung hat sich mit ihrem Modell an der Einigung der Sozialpartnervereinbarung zur Arbeitszeitflexibilisierung orientiert.

FAKT: Es hat nie eine Sozialpartnervereinbarung zur „Arbeitszeitflexibilisierung“ gegeben. Wahr ist, dass bis Juni 2017 über eine ganze Reihe von Forderungen der ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen geredet wurde. Die ArbeitgeberInnen waren in den Verhandlungen nicht bereit auf Forderungen der ArbeitnehmerInnenseite einzugehen. Genau deshalb hat es am Ende keine Sozialpartnervereinbarung gegeben. Von einer Einigung kann jedenfalls keine
Rede sein. Die Regierung will jetzt nur die Forderungen der Arbeitgeber umsetzen und geht teilweise sogar über diese hinaus.

Die wesentlichsten Änderungen und ihre Auswirkungen im Detail:

Mehr Ausnahmen vom Geltungsbereich im Arbeitszeitgesetz:

Der Kreis jener Personen, für welche die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes nicht gelten, wird erweitert. Künftig sind ArbeitnehmerInnen ausgenommen, denen maßgebliche selbständige Entscheidungsbefugnis übertragen ist und deren gesamte Arbeitszeit aufgrund der besonderen Merkmale der Tätigkeit nicht gemessen oder im Voraus festgelegt werden kann oder von den ArbeitnehmerInnen selbst festgelegt werden kann.

Nicht im Geltungsbereich des Arbeitszeitgesetzes sind künftig auch „nahe Angehörige“, deren gesamte Arbeitszeit aufgrund der besonderen Merkmale der Tätigkeit nicht gemessen oder im Voraus festgelegt werden kann oder von den ArbeitnehmerInnen selbst festgelegt werden kann.

Durch diese Einschränkungen des Geltungsbereiches werden die in der EU Arbeitszeitrichtlinie eingeräumten Ausnahme- und Abweichungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Welche ArbeitnehmerInnen in Zukunft aus dem AZG herausfallen werden, ist abzuwarten. Insbesondere die Voraussetzung einer „maßgeblichen selbständigen Entscheidungsbefugnis“ wird zu definieren sein. Ohne eng gefasste Klarstellungen (Entscheidungsbefugnis nicht nur bei der eigenen Arbeitsleistung, sondern auch hinsichtlich des Betriebes/Unternehmens) werden sehr viele qualifizierte ArbeitnehmerInnen unter diese Ausnahme fallen.

Übertragung von Zeitguthaben

Bislang regelt der Kollektivvertrag die Übertragung von Zeitguthaben in den nächsten Durchrechnungszeitraum (§ 4 Abs 7 AZG). In Zukunft soll die Übertragung per Kollektivvertrag auch in die nächsten Durchrechnungszeiträume zugelassen werden. Die Abgeltung dieser Zeiten kann sich damit auf unbestimmte Zeit verzögern.

Gleitzeit: In Zukunft 5 mal pro Woche 12 Stunden

Die tägliche Arbeitszeithöchstgrenze bei Gleitzeit wird auf 12 Stunden angehoben, fünfmal wöchentlich. Damit werden 12 Stunden zur zuschlagsfreien Normalarbeitszeit. Gerade in Branchen, in denen diese Stunden im Verhältnis 1:1 konsumiert werden können, weil es zB saisonal bedingt Zeiten mit mehr und Zeiten mit weniger Arbeit gibt, würden die ArbeitnehmerInnen ebenso viel arbeiten wie bisher, aber um sämtliche Zuschläge umfallen.

Es gibt keinerlei Begleitmaßnahmen für ArbeitnehmerInnen wie Beschränkung der Kernzeit, Mindestgleitzeitrahmen, Rechtsanspruch auf ganztägigen Zeitausgleich oder Festlegung einer Höchstanzahl von 12 Stunden-Tagen pro Quartal, die längere Arbeitszeiten kompensieren würden!

Ausweitung der Arbeitszeit bei erhöhtem Arbeitsbedarf

Massive Verschlechterungen ergeben sich durch die Änderungen hinsichtlich Überstundenarbeit aufgrund erhöhten Arbeitsbedarfs. Ohne großem Aufwand und ohne Notwendigkeit einer Betriebsvereinbarung können Arbeitgeber nunmehr einen 12-Stunden-Tag verhängen. Die bislang erforderliche attestierte arbeitsmedizinische Unbedenklichkeit in Betrieben ohne Betriebsrat entfällt. Künftig darf bei Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfs die durchschnittliche Wochenarbeitszeit innerhalb eines Durchrechnungszeitraumes von 17 Wochen 48 Stunden nicht überschreiten. Bislang gilt eine zulässige Verlängerung um 5 Überstunden/Woche und max. 60 Überstunden pro Jahr. Waren bislang 10 Überstunden pro Woche zulässig, werden nunmehr 20 Übersunden wöchentlich ermöglicht. Die Tagesarbeitszeit darf 12 Stunden nicht überschreiten (derzeit: 10 Stunden).

Künftig kann in Betrieben mit Betriebsrat in Fällen hohen Arbeitsbedarfs der Arbeitgeber die Überstunden anordnen. Es ist keine Betriebsvereinbarung mehr nötig. Die Mitbestimmung wird massiv zurückgedrängt.

Was bisher nur unter bestimmten Voraussetzungen (vorübergehend auftretender besonderer Arbeitsbedarf zur Verhinderung eines unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteils; andere Maßnahmen nicht zumutbar; nach 8 Wochen in den nächsten 2 Wochen keine Überstunden; Übermittlung an u.a. Arbeitsinspektorat; durch BV geregelt oder – wenn es keinen Betriebsrat gibt – nur nach arbeitsmedizinischer Unbedenklichkeit) möglich war, soll schon bei bloßem Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfs nun generell gelten.

Ablehnung von Überstunden

Das Benachteiligungsverbot bei der Ablehnung von Überstunden (11./12.Stunde) war bisher für Arbeitnehmer/innen ohne Betriebsrat in § 7 Abs 6a AZG geregelt und war ohne Begründung möglich. Nun sollen zwar alle ArbeitnehmerInnen ablehnen können, aber nur „aus überwiegenden persönlichen Interessen“. Zusätzlich ist vorgesehen, dass in Betriebsvereinbarungen eine abweichende Regelung vorgesehen werden kann. Offen ist, ob diese auch verschlechternde Bestimmungen vornehmen darf.

Erhalten bleibt zumindest die Bestimmung, wonach ArbeitnehmerInnen nur zur Überstundenleistung herangezogen werden können, wenn nicht berücksichtigungswürdige Interessen entgegenstehen (§ 6 Abs 2 AZG )

Verkürzung von Ruhezeiten

Die Verlängerung der Arbeitszeit von Lenker/inne/n und die RuhezeitenKürzung im Gast-, Schank- und Beherbergungsgewerbe bedeuten vor allem massive Verschlechterungen für die Gesundheit der in diesen Branchen tätigen ArbeitnehmerInnen. Die geänderten Regelungen ermöglichen den Unternehmen einen maximal produktiven Personaleinsatz während Erholungszeiten für ArbeitnehmerInnen auf ein minimales Ausmaß reduziert werden. Derzeit darf in der Gastronomie und Hotellerie (vor allem in Saisonbetrieben) bei Vollzeitbeschäftigten die tägliche Ruhezeit von elf auf acht Stunden verkürzt werden. Jedoch braucht es dafür derzeit eine Regelung im Kollektivvertrag. In Zukunft ist das auch bei „geteilten“ Diensten (=mindestens drei Stunden
Mittagsunterbrechung) möglich, sie waren bisher ausgenommen. Ruhezeiten von 8 Stunden sind aus arbeitswissenschaftlicher Sicht bedenklich, da sie klarerweise mit Schlafmangel einhergehen und daher richtigerweise bisher nur eingeschränkt möglich waren. Im Zusammenhang mit längeren Wegzeiten werden Schlafzeiten von 5 Stunden und weniger für immer mehr Beschäftigte zur Realität. Das Unfallrisiko dieser ArbeitnehmerInnen ist mit jenem Alkoholisierter vergleichbar, wie arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse belegen können.

Rufbereitschaft

Bei Arbeitsanfall während der Rufbereitschaft fällt die Bedingung weg, dass die Arbeitszeit auf 12 Stunden ausgedehnt werden kann, wenn innerhalb von 2 Wochen ein Ausgleich erfolgt.